Ich soll ein Buch schreiben, haben sie gesagt.
Ich schreib doch kein Buch!
Worüber soll ICH denn ein Buch schreiben?
Na, dann schreib doch wenigstens erst mal einen Blog, haben sie gesagt.
Und alles nur, weil Stefanie Stahl mir eines Abends mein Leben erklärt hat.
Sie hat nur 50 Seiten dazu gebraucht.
Da schreibt sie doch glatt, warum ICH so schnell gekränkt bin.
Dass ICH Angst habe, Fehler zu machen und falsche Entscheidungen zu treffen.
Das hat mich ja schon einigermaßen verwundert, wie die das wissen kann.
Dann schreibt sie noch weiter wo ich überall perfekt sein will – also im Job, als Gastgeberin, als Mutter, auch auf perfektes Aussehen soll ich Wert legen. Da sieht man mal, dass sie mich noch nie getroffen hat. Das kann man ja wohl nicht übersehen, dass sie damit schiefliegt.
Aber dann hab ich so diesen fiesen Kindergartenton im Ohr: “näh, nänänänä näh. Sie sagt mir, dass ich Zweifel an meinen eigenen Fähigkeiten hätte, plus die Fehlerangst, plus Perfektionismus… – das sind jetzt schon drei Sachen, aber ein leckeres Überraschungsei ist das nicht gerade. Und da bin ich erst auf Seite 30 von 50, als sie mir jetzt auch noch mit Angst vor Ablehnung und Harmoniesucht kommt. Ich schüttele mich wie meine Hunde das tun aber es hilft nichts. Es kommt bis Seite 50 noch viel dicker. Während ich lese, höre ich ihre Worte immer noch im Kindergarten-näh nänänä, das sich jetzt ins gefühlte: „Hab ich dir doch gesagt-nänä“ ändert. So wie wenn Eddie Murphy in dem Film „Das goldene Kind“ an der Betrolle dreht und seinen Spruch leiert, während der Mönch sich Popel in seinen tibetanischen Trachtenärmel schmiert. Naja, damit hat sie mir jedenfalls die Nacht verkorkst.
Immer wieder haben sich mir ihre Worte im Kopf gedreht. Irgendwie hat sich scheinbar deren Rotationsgeschwindigkeit auf meinen Körper ausgeweitet, der seinerseits im Bett rotierte. An Schlaf war da nicht zu denken. Die Rotationen, denen ich übrigens sehr dankbar war, dass sie offensichtlich alle die gleiche Drehrichtung hatten, nötigten mich aufzustehen.
Da saß ich nun, nachts um vier Uhr am klinikeigenen Schreibtisch und begann meine Gedanken aufzuschreiben, wie andere Menschen Honig auf ihre Brötchen gießen. Sie waren zwar nicht so golden, jedoch sollten sie schon dorthin wo ich will, so wie ich will anstatt tropfenweise aufs Papier zu kleckern und zu kleben wo sie nicht hingehören. Von dem Ergebnis, das auf dem Papier verteilt war wie der Honig unterdessen auf dem ganzen Teller, waren meine Gedanken friedfertig geworden, stellten ihr Rotation ein und konnten den Körper endlich zur Müdigkeit überreden, bis der Wecker um halb sieben das Ende der Nacht verkündete.
Während der Nacht muss die gute Stefanie einen Pakt mit meinen Gedanken geschmiedet haben. Denn als ich erwachte, verkündeten diese, dass die Ergebnisse der Nacht ja nicht umsonst gewesen sein sollten. Man könne sie nun doch auch vortragen!
Sie jubelten und meine Augen sahen meine Hände das Manuskript zusammenfalten und in die Jackentasche stecken. Meine Füße setzten sich schnell in Bewegung, bevor die Hand das Manuskript wieder rauslegen konnte. Im Auditorium angelangt, suchte sich der Hintern lieber einen Platz, der nicht so weit vorne war – also schön weit weg vom Redeplatz des Chefs.
Mein Herz meinte, es könne schon mal etwas Druck aufbauen, kurz bevor der Chef die kritische Frage stellte: “Noch was von Ihnen?“
Meine Gedanken jubelten, endlich an der Reihe zu sein und rissen mir den Arm hoch. Ich höre mich sagen: „Ich will was sagen“. „Ein Abschied?“ fragt Dr. Maurer. „Nein, eine Zwischenbilanz zur Halbzeit“, sage ich.
Meine Füße und Beine nutzen die Gelegenheit und springen auf, gehen zügig nach vorn. Noch lange bevor sich mein Verstand wehren kann, stehe ich vor dem vollen Auditorium.
Alle starren mich an.
Der Blutdruck jubelt, weil er nicht nur den üblichen Hochdruck verursachen, sondern noch eine Schippe drauflegen darf und mir eine rote Birne verpasst.
Die Atmung verhält sich auch nicht kooperativ und johlt, dass ich mich gefälligst entscheiden soll, ob ich nun flach atmen oder ob ich dem Bauch auch was abgeben will.
Jetzt fangen alle an mit mir zu stänkern.
Meine Zettel zittern. Die Hand konnte sie gerade noch aus der Jackentasche ziehen.
Meine Augen sind sauer, weil sie hin und her gerissen sind zwischen offen bleiben und Text lesen oder wegdrehen und Beihilfe zum Abklappen leisten.
Meine Zettel zittern weiter, weil der Blutdruck mit der Hand rumzickt.
Die Augen haben sich für weit offen entschieden, da sich zwischenzeitlich der Mund eingemischt hat. Er hat tatsächlich die ersten Worte rausgehauen.
Das war dem Verstand zuviel. Er fühlte sich verloren und außer Stande zu reagieren. Er hielt es für das Beste, sich vorerst auszuklinken, während Auge und Mund den Pakt des Bösen besiegelten. In trauter Einigkeit lasen sie den Text der Nacht vor.
Die Ohren, die sich bislang nicht eingemischt hatten, registrierten ungewöhnliche Geräusche! Sollten das Lacher des Publikums gewesen sein? Sie mussten sich täuschen. Hatten auch keine Zeit zur Verifizierung, weil Augen und Mund zur Höchstform aufliefen. Sie witterten Morgenluft und lasen das ganze Manuskript bis zum Ende vor.
Zwischenzeitlich hatte sich die Atmung eingekriegt, da Auge und Mund so schön in Fahrt waren. Doch jetzt meldeten sich auch die Ohren wieder. Denn das letzte Lachen und den folgenden Applaus konnten sie nun wirklich nicht überhören!
Nachdem auch der Verstand sich wieder aus seinem Versteck rausgetraut hatte, nahm er die Gesichter der Menschen wahr, welche die Augen ihm zeigten. Die Gesichter hatten Lachen und Strahlen gezeigt und der Verstand war froh nicht auf die Suche nach Rechtfertigungen gehen zu müssen.
Anschließend nahm der Verstand sogar noch etliche Glückwünsche entgegen. Witzig und intelligent sein seine Ausführungen gewesen, so wunderbar bildhaft, alles toll getroffen!
Er bat den Blutdruck nochmals um Befeuerung des Gesichtes mit einem schönen Rotton, doch der Blutdruck hatte keinen Bock mehr.
Plötzlich mischte sich der Kritiker ein.“… hätte man besser schreiben können, hier und dort eine kleine Änderung vornehmen“, doch er kam nicht weit, denn der Nörgler nörgelte an der Körperhaltung während der Performance herum: “zu krumm gestanden, dem Publikum nicht in die Augen geschaut, zu leise geredet, …“ das war zuviel für die Motivation, die ganz beleidigt sagte, dass sie nicht mehr für die anderen arbeiten würde , wenn hier derart negativ abgerechnet wird.
Doch einzig die Lebensfreude stand der Motivation bei. Sie wäre Dank deren Tatkraft voll auf ihre Kosten gekommen und würde gern mal wieder öfter zum Zuge kommen, wenn nicht immer wieder die anderen so rummobben täten.
Der Verstand hatte genug. Er veranlasste den gesamten Körper zum Rückzug.
Sie soll ein Buch schreiben! Der Verstand fand dieses Unterfangen total gefährlich. Was passiert, wenn sie Bücher liest, hat man ja nun gesehen aber was passiert erst, wenn sie Bücher schreibt!
Die Folgen sind unberechenbar!
Ich soll ein Buch schreiben haben sie gesagt. Da sitze ich vor einem leeren Blatt.
Worüber soll ICH denn schon ein Buch schreiben? Oder einen Blog…