Rückreise

Immer mal wieder muss man eine Rückreise von irgendwo, im schönsten Fall „nach Hause“ antreten. Oft beinhaltet diese, einen vorausgehenden Abschied, der je nach Verbundenheit mit der zu verlassenden Person, den zurückgelassenen Personen, des zu verlassenden Ortes und deren Wertschätzung von mehr oder weniger viel Traurigkeit geprägt ist. Davon können wir ein Lied singen und haben bereits eine Geschichte dazu erzählt. „Na gut, es gibt natürlich auch den Fall“, meint der Kritiker, „beim dem wir lieber eher als später von der Person oder dem Ort, der unsere Reise galt, quasi desertieren.“

Meist gibt es jedoch in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Vorfreude auf die Menschen und vielleicht auch Tiere, die uns – „hoffentlich“, meint der Pessimist – freudig erwarten. Oder eben auch auf den Ort – „nicht in unserem Fall“, sagt die Lebensfreude –, an den wir reisen.

Da bei uns ja in der Regel nichts einfach so glatt geht – „Du spoilerst“, wirft mein Kritiker ein – haben wir zu unserer Rückreise, und das sagen wir ganz bewusst so, denn es ist bei uns keine „Heimreise“, natürlich auch wieder genug zu erzählen. Damit euch nicht langweilig wird, wollen wir zuerst von unserer langen Anreise erzählen, damit ihr unsere Vorfreude auf die Rückreise zu schätzen wisst.

Wir starteten Mitte November. Wir wussten, wir würden Bahn fahren, da uns kein PKW zur Verfügung stand. Also wurde auf die Art des zu transportierenden Gepäcks geachtet, welches für mindestens vier Wochen ausreichende Winter- und Sportklamotten fassen sollte. Kein einfaches Unterfangen, aber doch geschafft. Wir vermieden es allerdings, den Reisetaschenrucksack zu wiegen. Damit wir auch am Ort der Genesung tatsächlich all unsere Sachen haben würden, unterließen wir es, diese per Lieferdienst vorauszuschicken. Blieb also nur selber puckeln. Mein Respekt und Dank von hier aus an alle Zusteller dieser Welt, die täglich solche Lasten schleppen müssen.

Mein Mann brachte mich zur Bahn. Nein, nicht um zu sehen, ob wir nun wirklich abfahren würden („Er hat sturmfrei“, schreit mein Pessimist und Ich-bin–nicht-gut-genug fürchtet eine schnelle Ersatzbesetzung für meinen häuslichen Posten mit allen Rechten und Pflichten), sondern um mir netterweise einen kleinen Teil des Weges die Schlepperei abzunehmen.

So erklimmen wir nun den Zug, finden sehr schnell unseren Platz im richtigen Wagen (Dank an den Perfektionisten, für die tadellose Planung und Beschaffung aller Infos und Fahrkarten zur Reise!). Verabschiedung, Abfahrt, mulmiges Gefühl im Bauch, jetzt wirklich auf uns allein gestellt zu reisen. Der Schaffner pfeift. Der Zug rollt los. Ein letztes Mal winken und fort sind wir und kommen genau eine Station weit, also ungefähr fünf Kilometer. Der Ängstliche wundert sich wegen der langen Haltezeit. Er befürchtet, dass wir wieder aussteigen müssen und doch erst den Zug am nächsten Morgen nehmen können. Dann würden wir zu spät am Ziel einchecken und einen ganzen Tag verlieren. Das Sonnenkind beginnt in Ermangelung eines geeigneten Bahnsongs zu singen: „Eine Seefahrt, die ist lustig…“, wird aber vom Kritiker gestoppt, dem es gegen den Strich geht, dem Sachverhalt unangepasste Lieder hören zu müssen. Die Push-Nachrichten der Bahn stürzen fast im Minutentakt ins Handy und kündigen eine immer länger werdende Verspätung an. Der Schaffner gibt per Ansage den Hinderungsgrund unserer Weiterfahrt bekannt und offeriert Freigetränke, da wir nun schon eine geschlagene Stunde im Bahnhof stehen. Irgendein Mensch, der mit sich und der Welt offensichtlich nicht ganz im Reinen ist, hat sich auf der Oberleitung in einer Stadt auf unserer Strecke verschanzt. Der Sarkastische meinte:   „Der solle lieber eine Stricknadel in die Steckdose halten, anstatt sich auf einer Oberleitung zu grillen.“ Naja, nach eindreiviertel Stunden konnte die Fahrt weiter oder soll ich lieber sagen – losgehen. Unsere Fahrt ging durch die Nacht, wie ohnehin geplant und der Fürsorgliche  versuchte es uns auch hier gemütlich zu machen. Leider sind die Sitze zum Schlafen denkbar ungeeignet. Und meine Prinzessinnen auf der Erbse fanden keine Ruhe. Immer wieder sind wir eingenickt, aber an richtiges Schlafen war nicht zu denken. Dann endlich kündigte die Push-Nachricht die Zeit des Umsteigens an. Durch die Verspätung, die der wackere Lokführer von zwei auf eine Stunde runtergefahren hatte, waren alle unsere Anschlusszüge weg. Der Perfektionist fand sich von der Bahn dermaßen sabotiert, dass er sich an den Schaffner wandte um eine Bestätigung für die Verspätung zu erhalten, der Umsetzer solle alles dokumentieren für den Erstattungsantrag.

Der Bahnhof kam, auf dem  wir den Zug wechseln mussten. Eigentlich sollten wir nur einmal umsteigen, jetzt ging das nicht mehr. Auf dem Bahnhof orientieren, wenn der Ängstliche die Führung hat, ist gar nicht so einfach. Der Umsetzer versuchte zu übernehmen. Der Ängstliche wollte aber nicht abgeben. Da standen wir auf dem Bahnhof und der Ängstliche versuchte zu erkunden, wie wir weiter fahren mussten. Oh je, lauter verschiedene Verbindungen, welche ist denn jetzt für uns die Richtige? Der Umsetzer wollte gern für uns arbeiten, aber der Ängstliche war momentan viel mächtiger. Immer wieder schaute er sich um, las die Anzeigetafeln und verglich diese mit den Angaben der Ersatzverbindung im Handy. Ein anderer Fahrgast sah auch immer wieder auf sein Handy und sprach fast alle  Fahrgäste an, dass sich schon wieder die Verbindungen geändert hätten. Die Anzeigetafel veränderte sich auch andauernd – „wir sind verloren, kennen uns hier nicht aus, wie soll es nur weiter gehen?“, jammerte der Ängstliche. Dann kam die rettende Zuganzeige. Nichts wie rein in den Zug. Zwanzig elendig lange Minuten sollte die Fahrt dauern, bis wir nochmals umsteigen mussten. Die Ankunftszeit zum Umstieg war später als die Abfahrtszeit des letzten Zuges. „Werden wir es schaffen?“, fragte der Ängstliche wieder. Das Handy konnten wir nicht mehr aus der Hand legen, mussten gefühlt die Sekunden zählen, immer wieder prüfen, ob wir den letzten Zug noch erreichen würden. Der Bahnhof kommt, wir stehen an der Tür, können den Zug sehen der schon auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig steht. Menschen laufen auf dem Bahnsteig hin und her und besteigen unseren Zug. Den letzten Zug. Wir fahren in den Bahnhof ein, brauchen eine Ewigkeit um anzuhalten. Wir drücken wie verrückt den Knopf an der Tür, der Antreiber ist da sehr konsequent – damit wir raus können und schnell in den Zug auf der gegenüberliegenden Seite springen. Aber die Tür will sich partout nicht öffnen. Das ältere Ehepaar hinter mir bemerkt meine Panik und sagt: „Die Tür wird sich schon öffnen, Sie brauchen nicht dauernd drauf drücken.“ Ich muss den Zug da drüben erreichen, der fährt gleich ab, sage ich, aber mein Ängstlicher schreit es. Zum Glück hören alte Menschen nicht mehr so gut. “Wir wollen auch diesen Zug nehmen und der wird auf uns warten“, sagen die beiden zu mir. Ich höre sie nur noch flüchtig, da sich in diesem Moment endlich die Tür öffnet. Der Antreiber lässt uns mit dem tonnenschweren Gepäck aus dem einen Zug, über den Bahnsteig in den anderen Zug stürzen. Mein Umsetzer konnte für einen kleinen Moment übernehmen und hat uns durch alle Hindernisse hindurch in den letzten Zug bugsiert. Wir finden einen Sitzplatz. Der Schaffner kommt und sagt bei der Fahrkartenkontrolle, dass ich Anspruch auf die Fahrt in der ersten Klasse hätte und zeigt zum entsprechenden Abteil. Ich will mich nicht mehr bewegen, wertschätze seine Bemühungen und bleibe auf meinem Platz in der zweiten Klasse sitzen. Wir sind völlig durchgeschwitzt. Der Ängstliche hat mal wieder den Umsetzer vertrieben, beginnt aber jetzt auch langsam sich zu beruhigen. Wir müssen ja nur noch den Bus erreichen. Sonst sitzen wir eine Stunde auf dem Bahnhof rum, bis der nächste kommt. Die Ruhe währt nicht lange, denn der Schaffner sagt durch, dass der Zug im nächsten Bahnhof geteilt würde und man beachten solle im richtigen Abteil zu sitzen. Der Puls rast sofort los und der Ängstliche fährt den Blutdruck an, dieser solle gefälligst alles in volle Alarmbereitschaft versetzen, wir sind bestimmt im falschen Abteil und müssen mit unserem Vielfachtonnengepäck elfengleich und in Sekundenschnelle in das andere Abteil hüpfen. Der Schaffner kommt natürlich auch nicht vorbei, so dass man ihn hätte fragen können. Erst bei der Einfahrt in den besagten Bahnhof erwischen wir ihn an einer Zugtür, fragen ob wir im richtigen Abteil sitzen würden für unsere letzten Minuten. Er bestätigt die Richtigkeit unserer Platzwahl und wir können uns abermals beruhigt hinsetzen. Nur noch wenige Stationen…

Stress kommt auf, denn der Bahnhof unseres Ausstieges nähert sich und das WLAN kackt ab. Mal haben wir es – mal nicht – mal haben wir es – mal nicht. Mobile Daten zeigen uns auch ihren Mittelfinger, so als würde der Zug vor beiden fliehen. Wie zum Geier sollen wir die Onlinefahrkarte für den verdammten Bus, den wir hoffentlich noch pünktlich erreichen, kaufen, meldet sich der Zweifler. Keine Barzahlung im Bus und wieder mal nur wenige Minuten für den Umstieg von Bahn auf Bus. Keine Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten. Der Ängstliche ist wieder voll für uns da. Das Internet hat im allerletzten Moment Erbarmen mit uns und erstellt das verdammte Ticket im Handy. Wir stehen nochmals an der Tür zum Ausstieg, bereit um unser Leben zu laufen um den Bus zu erreichen, bevor er die Türen vor unserer Nase zuschlägt und ohne uns davon fährt. Dabei hätte das letzte Stück Zugfahrt so schön sein können. Neigte der Zug sich doch so wunderbar in jede Kurve, gab herrliche Blicke auf sonnige Berglandschaften frei. Erinnerte beim Fahren an den Alpenexpress auf dem Rummel. Dann noch ganz dicht am Alpsee vorbei. Doch der Ängstlich mahnte zum Ausstieg, denn der Zug hatte bereits im Zielbahnhof gehalten. Welchen Weg nehmen wir denn nun raus aus dem kleinen Bahnhof, der in seiner Unübersichtlichkeit keinem großen Bahnhof nachstand, befand der Ängstliche. Oh, noch zwei „Aussteiger“. Hinterher. Herdentrieb. Kacke, auch die Herde nahm den falschen Weg. Wieder zurück. Schweres Gepäck. Kann nicht rennen. Bin fertig. Es ist heiß. Bin schweißgebadet. „Reiß dich zusammen“, brüllt der Harte, „den Weg zum Bus wirst du doch wohl noch schaffen oder was?“ Dort, der Ausgang, die Bushaltestelle – KEIN Bus! Der Nörgler nörgelt: „Mann, jetzt haben wir uns so beeilt, und kein Bus da. Wir haben Hunger und Durst und sind müde, haben keinen Bock mehr.“ „Ist der Bus etwa schon weg?“ fragt der Ängstliche angstvoll. Der Antreiber meldet sich und meint, dass die aktuelle Uhrzeit noch vor Abfahrtszeit des Busses liegen würde und alle sich mal lieber nur nicht von der Bushaltestelle entfernen sollen, falls der Bus JETZT kommt. „Der Bus kommt“, ruft der Kontrolletti, der sich ganz genau den Bahnhof angesehen hat, während die anderen nur warteten was passiert. Einer der Aussteiger wurde mit einem Taxi abgeholt, die andere und wir stiegen in den Bus. Die Frau vor mir zahlte ihre Busfahrkarte in bar beim Busfahrer. Der Kritiker bemängelte diese Situation, der Umsetzer zeigte dem Busfahrer voller Stolz unser Handyticket. Vielleicht hatte er gehofft, dass dem Ticket zu entnehmen sei, unter welch widrigen Umständen es erworben wurde. Und der Angerkennungsjunkie hoffte die Lorbeeren dafür einzuheimsen. Der Busfahrer betrachtete unser Ticket im Handy, nickte, schloss die Tür hinter uns und fuhr los. Letzte Etappe der beschwerlichen Reise nach Scheidegg. Kein Umsteigen mehr, kein falsches Abteil mehr, nur noch Bus fahren, absolut sonnige Landschaft genießen, Eindrücke sammeln , schwitzen, zwanzig Minuten ganz in Ruhe sitzen und an der Endstation ankommen. Willkommen in Scheidegg, bitte folgen Sie den roten Pfeilen zur Aufnahmestation…

Dass unsere Rückreise nach den schönen acht Wochen auch nicht reibungslos ablaufen würde, stand zu befürchten, jedoch hatten wir unterdessen gelernt, im Hier und Jetzt zu leben und in kleinen Schritten unserem Ziel entgegenzugehen. Zwei Tage vor Abreise begann es zu schneien. Nur fisselig, aber durchweg. Langsam aber stetig türmte er sich auf allem auf. Auf den Autodächern, auf den Möbeln der Terrasse, auf den Balkonen auf den Wegen und Straßen. Ich frage an der Rezeption, ob ich ein Taxi bestellen könne, welches mich zum Bahnhof fahren sollte. Der Bus fährt zum Bahnhof in so unbrauchbaren Abständen, dass man zum Teil eine Stunde auf dem Bahnhof sitzt, bis der Zug kommt. Du wirst doch kein Taxi nehmen, raunzt mich der Klinikkindergarten an. Es wird dich jemand von hier fahren. Wir finden wen. Ich hätte ganz sicher jemanden gewusst, den ich hätte fragen können und der mich auch hundertprozentig gefahren hätte. Gern sogar. Da er aber zum Fahrer für alle avancierte, wollte ich ihn nicht auch noch ansprechen. „Recht so“ sagte Der-der-niemandem –zur Last-fallen-will. Beim Abendessen fragte meine Tischnachbarin, wie ich denn zum Zug kommen würde und ich erzählte von meiner Vorstellung, mit einem Taxi zum Zug fahren zu wollen. Wohl zu laut, denn der Klinikkindergarten schritt sofort ein. Sie meckerten wieder mit mir, dass ich kein Taxi nehmen solle, sondern jemand von hier mich fahren würde. Sofort bot sich meine Tischnachbarin an. Der-der-niemandem-zur Last-fallen-will, erklärte ihr, dass sie ihr Frühstück verpassen würde, weil wir genau zur Frühstückszeit unterwegs zum Bahnhof seien. „Das wäre kein Problem für sie“, war ihre Erwiderung und der Klinikkindergarten erbot sich augenblicklich für ihr Frühstück zu sorgen. Bei so viel Engagement konnte auch Der-der-niemandem-zur Last-fallen-will sich nicht mehr verweigern. So kam es, dass die Verabredung für die Abfahrt getroffen wurde. Zack, meldete sich der Ängstliche: Würden wir rechtzeitig abfahren können, rechtzeitig am Zug ankommen, den richtigen Bahnsteig finden, alles noch im Dunkeln?

Das Schneetreiben nahm also in diesen zwei Tagen dermaßen zu, dass das wunderschöne Bergpanorama zur Abreise nicht mehr zu sehen war. Am Vortag meiner Abreise, bekam meine Tischnachbarin noch eine Garage zur Verfügung gestellt, sodass wir am Abreisemorgen nicht auch noch gezwungen sein würden das Auto vom Schnee zu befreien. Was für ein Geschenk das war, könnt ihr euch nicht vorstellen. In der Nacht konnte ich kaum schlafen, weil alle halbe Stunde der Schneepflug an meinem Fenster vorbeifuhr. Ich vermutete nichts Gutes. Und richtig. Der Wettergott hatte es mit den Wintersportlern wirklich gut gemeint. Zur Garage stapften wir durch mehr als knöchelhohen Schnee. Winterwandern mit schwerem Gepäck. Hätte ich vielleicht vorab beim Bundeswehrkumpel Übungsstunden nehmen sollen? „Was hätten wir denn da üben sollen?“ fragt der Ironische. „Wie man den Pudding in den Beinen einfriert, damit er nicht so rumschlabbert? Wenn du dich nicht immer vor der Muckibude gedrückt hättest, dann bestünde dieses Problem gar nicht!“ Der Fürsorgliche mahnt vorsichtig zu laufen, damit wir weder ausrutschen noch den ganzen Schnee in den Schuhen haben. Wenn die dann erst innen nass wären, würden wir uns höchstwahrscheinlich noch erkälten bei der langen Reise. Zur Freude aller, schafften wir es rechtzeitig und trocken ins Auto. Die Fahrt konnte beginnen. Für einen Weg, der bei guten Straßenverhältnissen nur 15 Minuten dauern sollte, kalkulierten wir gute 30 Minuten ein. Wie Recht wir doch hatten! Die Straßen waren noch ziemlich verschneit. Der Streuwagen war nicht mit allzu viel Vorsprung vor uns durchgefahren und das Salz hatte noch nicht allen Matsch weggetaut. Die Straßenschilder waren von Schnee bedeckt und in der Fahrtrichtung nur noch auf die Dame des Navigationsgerätes zu vertrauen. An einem Anstieg haben wir mit der Straße gerungen. Wir wollten rauf. Die glatte Fahrbahn sagte: „Versucht es doch!“ Der Ängstliche betete: „Lass uns jetzt den Berg rauffahren, wir müssen den Zug kriegen, ist hoffentlich noch genug Zeit, den zu erwischen…“ Der Berg hatte ein Einsehen und lies uns gewähren. Die Dame des Navigationsgerätes sagte: „Nächste rechts abbiegen“. Das taten wir folgsam und fuhren wieder einen Berg runter, kamen allerdings vor einer Klinik an. Also Berg wieder rauf, diesmal nicht so mühsam. Der Antreiber trieb zur Eile an: “Los, fahr zu, wir müssen den Zug erreichen!“ und schlug mit dem Ängstlichen in eine Kerbe. Diesmal wieder oben an der Kreuzung angelangt, wies der Überblick über die Kreuzung aus neuem Blickwinkel den richtigen Weg und die Navigationsdame bedeutete uns die Ankunft in Kürze und das auch noch überpünktlich. Wir nahmen unser Gepäck an uns und trollten uns nach einem letzten Abschied in Richtung Bahnsteig. Meine Fahrerin trat den Rückweg an zu ihrem wartenden Frühstück. Wir warteten auf dem Bahnsteig auf den einfahrenden Zug und genossen dabei ein letztes Mal den Schnee unter unseren Füßen. Der beginnende Sonnenaufgang gab noch einen Blick frei auf ein schneebedecktes Bergpanorama, das ein Gefühl von Zufriedenheit und Ewigkeit hervorbrachte, welches der Genießer aufsog. Dieses Mal blieb es beim Einstieg in den Zug und wir genossen die beginnende Reise. Wiederum legte sich der Zug für uns ins Zeug und die Kurven, bescherte uns letzte Augenblicke in ein weißes Winterwunderland, den Blick auf den Alpsee und eine pünktliche Ankunft in Nürnberg. Umsteigen bitte, hatte die Push-Nachricht auf dem Handy gemeldet. Weiterfahrt vom gegenüberliegenden Gleis. Na bitte, alles bestens. Der Kontrolletti prüft die Angaben zum Wagenstand in der App und befindet, dass wir, weil sich die Weiterfahrt wegen technischer Probleme unseres ICE verzögert, in Ruhe zum Einstieg gehen können. Leider hatte er die Rechnung ohne den Zweifler gemacht. Der hatte immer einen anderen Wagenstand an den Verstand gemeldet als der Kontrolletti. Also ans andere Ende des Bahnsteiges laufen. Der Zweifler ist voll in seinem Element und schafft Verwirrung. Daher Verifizierung am Wagenstandsanzeiger auf dem Bahnsteig, ordnet der Kontrolletti an. Wieder zur Mitte des Bahnsteiges zurück. Beide Angaben entgegengesetzt. Mist. Der Kontrolletti setzt sich durch und vertraut der App. Zurück ans andere Ende des Bahnsteiges. Die App und die Ansage auf dem Bahnsteig sind sich insofern einig, dass nun die Ankunft unseres ICE sich nicht nur um 20 Minuten, sondern schon 45 Minuten verzögern wird. Ohh man, Arsch abfrieren auf dem zugigen Bahnsteig. „Nö“, sagt der Fürsorgliche wir sind so schön warm vom Laufen mit dem schweren Gepäck, dass wir es hier noch sehr gut so lange aushalten können. Die Fürsorge der Bahn, dafür dass wir auch wirklich warm bleiben,  kommt sofort. Die Ansage teilt uns mit, dass wir heute von einem ganz anderen Bahnsteig abfahren werden. Den müssen wir allerdings erst erklimmen. Der Nörgler jammert, dass das Gepäck so sau schwer sei, dass wir uns garantiert zu Tode puckeln würden wenn wir jetzt den Bahnsteig wechseln müssten. Die Tragegurte des Rucksacks beginnen uns allmählich einschneidende Andenken zu hinterlassen. Die Anzeigen der Bahn und Meldungen auf dem Handy werden immer abweichender und der Ängstliche beginnt, sich darüber schon wieder aufzukrücken: „ Wenn wir jetzt den Bahnsteig wechseln, müssen wir die Treppen runter rüber zum viel weiter entfernten Bahnsteig, dort die Treppen wieder hoch auf den neuen Bahnsteig. Und was, wenn dann der Bahnsteig nochmal geändert wird, schaffen wir es dann noch, unseren Zug zu erreichen? Wir können doch nicht rennen!“ Der Zweifler ist alarmiert und sucht Bahnpersonal um abzugleichen, wer denn nun Recht hat, die Anzeige am Bahnsteig oder meine Handynachricht. Ihr Handy hat die gleiche Information wie mein Handy – eine Handyverschwörung, vermutet der Zweifler. Der Faule besteht aber darauf, auch andere Bahnmitarbeiter zu befragen, rein aus der Faulheit heraus mit dem Gepäck über alle Bahnsteige latschen zu müssen. „Gut so!“, bemerkt der Kritiker, da diese Mitarbeiter uns versichern, dass auf dem angegebenen Gleis garantiert keine ICE abfahren würden. Sie kontaktieren ihre Leitstelle und siehe da, die Anzeige am Bahnsteig und die Nachricht auf meinem Handy dürfen sich angleichen und wir dürfen auch weiter auf dem Bahnsteig warten, der uns die ganze Zeit über schon beherbergt, der Kontrolletti ist vorerst zufrieden. Wir warten. Erhalten einen Anruf, dessen Inhalt kaum zu verstehen ist, da wir von Ansagen und Geräuschen von ein- und ausfahrenden Zügen bombardiert werden. Wir brechen das Gespräch ab und der Fürsorgliche befindet, dass wir die aufsteigende Kälte beachten sollten und uns noch mehr die Mütze plus Kapuze über den Kopf ziehen sollen. Eine erneute Ansage lässt uns aufhorchen. Wieder wird das das Gleis für den einfahrenden Zug geändert. Zum Glück nur das gegenüberliegende Gleis und da kommt er dann auch wirklich, nach einer Stunde Wartezeit. Wir müssen keinen Hindernislauf über Bahnsteige mehr absolvieren sondern dürfen einfach nur noch einsteigen. Wieder mal den richtigen Wagen und Platz gefunden. Danke Kontrolletti. Jetzt nur noch vier Stunden ICE durchfahren und ankommen. Tatsächlich ohne weitere Komplikationen. Eben noch mit allem Gerödel aussteigen, den richtigen Ausgang finden und von einem lange wartenden Menschen mit Herzklopfen in die Arme genommen werden.

Meinen herzlichen Dank an das ganze Team für die aufopfernde Unterstützung bei unserer Reise!