Die Sehnsucht schleicht sich in unser Herz, seit wir zurück sind aus Mittelerde Scheidegg. Der Verstand kommt gar nicht weiter ins Nachdenken, denn die Kreativität zerlegt den Begriff. „Was da nicht alles drin stecken würde“, meint sie und beginnt ihre Erläuterungen.
Zuallererst beginnt das Wort ja schon mit „Sehn-“ – also von sich sehnen abgeleitet. Die Kreativität entpuppt sich zugleich als Thesaurus und schmeißt weitere Synonyma für „sich sehnen“ in den Pott. Begehren, verlangen, schmachten, lechzen, vermissen, dürsten, hungern, gieren, aus tiefstem Herzen wünschen…
„Schmachten“ weckt den Genießer, für den immerzu Weihnachten sein könnte und der gleich mal die Dinge aufzählen will, nach denen er schon wieder schmachtet und auf die er ungeheure 41 Wochen (bis Dezember!) warten muss. Die Kreativität würgt ihn ab, denn seine Wonnen des Genusses haben wir ja gerade erst kennengelernt.
Die Kreativität stürzt sich wieder auf das Zerpflücken des Wortes „Sehnsucht“ und meint, dass da auch „sucht“ von „suchen“ drin stecken würde oder eben „suchen, ergründen, sondieren, aufspüren, durchstöbern, fahnden, erkunden, …“
Sie ist nicht zu stoppen und liefert für den Teil „sucht“ noch die Theorie ab, dass es sich hierbei auch um „die Sucht“ handeln könnte, also „eine Abhängigkeit, ein Wunsch, eine Begierde, ein Laster, eine Besessenheit, eine Manie oder ein Drang“.
Der Aggressive beginnt sich gerade vor der Kreativität aufzubauen, und sagt, „wenn sie jetzt noch weitere Wortschlangen auskotzen würde, er für nichts mehr garantieren könnte!“
Dem Faulen ist zwar diese Ich-bau–mich-mal-vor-jemandem–auf–Arie eh zu viel. Schon allein wegen der enormen Arbeit, seine Persönlichkeit aus der faulen Abhängehaltung in eine einschüchternde, aufrechte, sehr nach vorn gerichtete Haltung ändern zu müssen, doch diese Wortketten machen einfach echt unermesslich viel Arbeit des Aufschreibens, die durch nichts gerechtfertigt werden kann.
Das Verhältnis meiner Terroristen steht gerade zwei zu eins gegen die Kreativität, was der Perfektionist nicht aushält. So oder so nicht, denn wenn die Kreativität unbedingt Wörter aus dem Thesaurus aufzählen muss, dann doch bitte richtig. Das umfasst nunmehr alle Begriffe und nicht nur so zusammengestückelte, einzelne herausgepickte. Terroristen-Ausgleich geschafft!
Die Kreativität, die sich durch den Perfektionisten gestärkt fühlt, beginnt erneut an „der Sehnsucht“ herumzustückeln. Das „Sehn“ aus der Sehnsucht könnte ja auch aus der Biologie stammen! Dann würde es sich von „der Sehne“ herleiten.
Der Anerkennungsjunkie ist mal wieder begeistert, mit welcher Anzahl an Worten hier jongliert wird und quittiert das mit seiner üblichen Anerkennungsgeste, dem zustimmenden Kopfnicken.
Der Zweifler hingegen, zweifelt – logisch oder? – an der „Helligkeit“ der Kreativität. „Ist doch so, nicht wahr?“ „Du bist wohl nicht ganz helle“, sagt man zu jemandem, an dessen „Richtigkeit im Oberstübchen“ man zweifelt, stimmt’s? Was in aller Welt, veranlasst jemanden dazu, ein Wort so zu zerpflücken? Dem Antreiber ist das wurscht. Er will nur, dass der Zeitplan eingehalten wird und wir uns nicht in unnötige Diskussionen verstricken, die das terminierte Ende der Geschichte gefährden. Das wird natürlich vehement durch den Zielstrebigen unterstützt.
Kennt einer von euch noch den Anfang dieser Geschichte? „Worum geht es hier eigentlich?“, mault der Kontrolletti, der immer besorgt ist, den Überblick über alles zu behalten.
Tja, um die Sehnsucht geht es hier, lieber Kontrolletti. Und wenn man mal auf die biologische Variante der Definition (sorry, liebe Kreativität) verzichtet, was bleibt denn dann?
Ein Vermissen, ein Ergründen, eine Begierde, eine Sucht (Kurzfassung, liebe Kreativität, zugunsten des Aggressiven!) Was kann man denn eigentlich so vermissen, ergründen wollen, begehren, zur Sucht werden lassen? Der Grübler, den ihr bisher noch gar nicht weiter kennengelernt habt, beschäftigt sich seit Beginn der Wortzerpflückerei damit. Er meint, dass man Sehnsucht nach Menschen, Tieren, Orten und Gefühlen haben kann. Ihm würden sicherlich noch weitere Dinge einfallen, aber dafür bräuchte er weit mehr Zeit zum Grübeln. Die Trauer ist dem Grübler dankbar, denn sie vermisst tatsächlich Menschen. Die Menschen aus Mittelerde Scheidegg nämlich, mit denen sie so oft geweint hat. Und auch den Ort selbst, denn sie durfte sich immer zurückziehen bei den Spaziergängen draußen mit den Menschen, die uns gut getan haben, während die Lebensfreude übernehmen konnte. Na gut, manchmal durfte die Trauer auch bei den Spaziergängen rauskrabbeln. Wenn zum Beispiel ein wunderschöner alter Baum mitten auf einem Feld steht. Wie ein schwarzer Scherenschnitt vor einem Himmel in verschiedenen Rot-, Gelb-, Lila- und Blautönen, dann hat uns immer wieder ein Gefühl von Heimweh überfallen. Ein Gefühl wie ein Sog, der alles einsaugt, was ins Bild passt und uns fast zum Platzen bringt. Das Gefühl hält sich bei uns sehr stark und eindringlich zwischen Herz und Bauch auf. Es erfüllt uns mit einer unbeschreiblichen Kraft und macht uns dennoch machtlos dem gegenüber. Eine ganz tiefe Zuneigung entsteht zu diesem Baum, der dort unzählige Jahre verweilt und nicht nur die Jahreszeiten, sondern gleich ganze Jahrzehnte, gar Jahrhunderte überdauerte. So viel sah und immer noch so steht, wie er jetzt gerade dort steht. Der Fürsorgliche fragt, ob die anderen es auch mitbekommen hätten, dass hier gerade Menschen und Orte mit Gefühlen verknüpft wurden? Das wäre bei Tieren dann bestimmt genauso? Okay, meint er. Das war nur eine rein rhetorische Frage, denn er wüsste ganz genau, dass immer richtig viel Liebe im Spiel ist, sobald wir unsere Haustiere anschauen würden. Außerdem sagt der Fürsorgliche, dass wir unser Gefühl von Geborgenheit und Ruhe ganz klar mit dem Resthof in Schleswig-Holstein verknüpfen würden, also einem Ort. Und dem Meer. Der Kritiker fragt den Fürsorglichen, ob er das Meer tatsächlich als einen Ort bezeichnen wolle. Der Ironische, der sich ganz bewusst bisher nicht eingemischt hatte, findet, dass das Meer kein Gefühl ist und auch kein Ort. Es ist einfach nur eine Zuflucht für Menschen, die sich und ihre Sehnsucht ertränken wollen. Hoffentlich da, wo das Meer auch tief genug ist! Und wenn sie dann wieder angespült werden, müssen sie nicht mehr gesucht werden, sondern werden gefunden. Das würde ja wohl zu den bisherigen Wortklaubereien der Kreativität passen.
Die Kreativität lässt den Ironischen links liegen und doziert weiter. Sehnsucht nach einer Reise, nach einem Ort oder Menschen aus der Kindheit, nach einer bestimmten Süßigkeit oder einem Essen der Vergangenheit, nach dem Geruch eines geliebten Menschen oder dem Geruch der Lavendelfelder in Frankreich? So wie die Gefühle der Menschen verschieden sind, so verschieden sind auch ihre Sehnsüchte, meldet sich der Verstand zu Wort, der die Kreativität mit ihren Aufzählungsketten einbremst, um dem Aggressiven nicht doch noch einen Vorwand für eine Schlägerei zu liefern.
„He“, ruft die Neugierde, „wie steht es denn mit euren Sehnsüchten und wie süchtig seid ihr danach?“