Free from, lesen wir auf der Milchpackung, als wir mal wieder durch den Supermarkt hasten. Ihr kennt das ja bereits. Der Kontrolletti ist sowohl Herr über den Einkaufszettel als auch über den Einkaufswagen. Der Antreiber unterstützt ihn, damit wir bloß nicht länger als nötig im Laden rumkrauchen. Die drei Grazien des Einkaufs sind immer besonders schwer im Zaum zu halten, findet der Kontrolletti. Das sind der Genießer, die Kreativität und die Lebensfreude. Der Genießer hält immer Ausschau nach seinen begehrten Leckereien, während Kreativität und Lebensfreude auf der Suche nach Neuem sind. Was auch immer der Markt hergibt, um uns Freude zu schenken. Wir biegen links um die Ecke des letzten Regals mit Nonfood-Artikeln (also Sachen, die man nicht essen kann, lieber Genießer), greifen rechts im Kühlregal noch schnell nach der Butter und rauschen weiter. Jetzt kommen wir am gefährlichen Teil des Einkaufes vorbei, den Gefrierschränken. Wer uns kennt, weiß, dass unser Genießer für gutes Karamell sterben würde, deshalb haben Kontrolletti und Antreiber alle Hände voll zu tun, uns an der Eisauswahl in den Gefrierschränken vorbei zu lotsen. Der Genießer lehnt sich weit raus, um vielleicht doch noch ein, zwei oder drei, gern auch noch mehr Eisbecher mit Salzkaramell zu bunkern. Der Fürsorgliche ist der Ansicht, dass man beim heutigen Einkauf ruhig mal wieder dem Genießer seinen Wunsch erfüllen sollte, damit wir uns einen schönen Abend mit einem dicken Eisbecher machen können. Und der Kontrolletti lässt sich tatsächlich dazu bewegen, die Abweichung vom Einkaufszettel zu genehmigen. Zack, wandern zwei Eisbecher der geliebten Geschmacksrichtung in den Wagen. Der Antreiber, dem diese Verzögerung natürlich nicht recht ist, treibt uns an, den Einkauf planmäßig fortzusetzen. Der Ängstliche ist dem Antreiber sehr dankbar dafür. Befürchtet er doch, dass die gute Leckerei allzu schnell den Aggregatzustand wechseln könnte, bevor wir zu Hause ankommen und somit nur noch Eissoße in den Bechern verbleibt anstatt das gute, kalte, cremige Etwas. Glücklicherweise mussten wir bei der Auswahl der Becher nicht lange überlegen. Letztens ist uns aufgefallen, dass es unser gutes Zeug außerdem in einer Version mit weniger Fettgehalt gibt. Das war harte Arbeit, diesen Fakt zu erkennen, denn der Faule wollte sich standhaft weigern, die ausführliche Analyse der besonders kleingedruckten Inhaltsangabe durchzuführen. Wer will es ihm verdenken. Bevor man mit dem Lesen fertig ist, ist das Eis in der Hand geschmolzen oder zumindest mächtig angetaut und wird anschließend bei Nichtgefallen wiederum in den Gefrierschrank zurückgestellt. Der nächste Kunde braucht sich gar nicht wundern, wenn er dann ein Eis gekauft hat, welches eine dicke Unterbrechung in der Kühlkette erlebt hat. Der Nörgler nörgelte damals, dass es purer Unsinn wäre, Eis mit wenig Fettgehalt zu kaufen. Jeder wüsste schließlich, dass Fett ein Geschmacksträger sei und man sich entscheiden müsse, ob man Geschmack haben will oder nicht. Nun gut, der Perfektionist machte ihn darauf aufmerksam, dass man Geschmack auch mittels Zucker oder Salz erzeugen könne und Fett in dem Fall nicht bräuchte. Der Nörgler will alles. Fett, Zucker, Salz und überhaupt soll das Zeug einfach saugut schmecken! Der Genießer ließ ihm seinen Dank zukommen. Das war nun die Version von „low“ – also wenig. „Low fat“ – also wenig Fett, in diesem Fall. Doch es geht auch anders. Als wir am Regal mit der haltbaren Milch ankommen, wird es dem Normalsterblichen ziemlich schwer gemacht, sich zu entscheiden. Da gibt es Milch mit viel Fett (ja, Nörgler und Genießer, ich zeig hier ja nur auf!) und wenig Fett. Lang oder noch länger haltbare Milch. Dann gibt es tatsächlich „free from“ und der Grübler grübelt, ob diese Milch dann „free from“, also „ohne“ Milch ist? Soja-, Hafer- und Mandeldrink stehen direkt daneben, dürfen sich aber nicht Milch nennen, weil sie pflanzlichen Ursprungs sind. Der Zweifler zweifelt indes an der Geisteshaltung des Grüblers. Der Realist schaltet sich ein und erläutert, dass es sich hierbei allein um Milch ohne den Anteil an Laktose, also Milchzucker handeln würde. Die Laktose verursache bei vielen Menschen Durchfall, legt er dar. Der Fürsorgliche empfindet diesen als sehr schmerzhaft und unangenehm in den weiteren Auswirkungen, wie dem Geruch beispielsweise. Der Harte kommt bei uns ja nicht allzu oft zum Zuge, doch selbst er verbittet sich gerade weitere Ausführungen zum Thema Durchfall, betet stattdessen mantraartig: „Weißes Pferd auf grüner Wiese“, mehrfach hintereinander weg. Und der Ängstliche erst, der das Szenario der Unberechenbarkeit entwirft, mit der – immerzu fehlenden – Toilette vor den Augen. „He“, ruft der Ironische, der sich seinen Beitrag zu diesem Thema nicht nehmen lassen will. „Ihr habt den anschließenden Zustand der Keramikschale vergessen, wenn wir darüber gebrütet haben und diesen typischen Aus-zehn-Metern-Entfernung-in-eine-Flasche-Saft entlassen haben. Wovon kam der noch? Von dem Exzess mit Pommes und Mayonnaise? Die waren weder free from noch low fat, sondern NUR lecker!“ Kein low-fettes Grinsen, sondern ein volles eilt über sein Gesicht. Der Fürsorgliche mag sich nicht erinnern, wie viel Zeit er für die Wiederherstellung unseres Wohlfühlklimas aufbringen musste.
Dem Zielstrebigen gerät unser Einkauf aus dem Lot und er fordert Rückbesinnung auf diesen. Uns fällt bei unserer Abschlußralley durch den Markt noch so einiges an Produkten auf, dass entweder weniger Zucker, weniger Fett oder weniger irgendwas haben soll. Alles gemogelt, bemerkt der Realist, der ganz genau aufgepasst hat, dass immer irgendwelches Ersatzzeugs untergemischt wird, damit man ja nicht merkt, dass womöglich was fehlen könnte. Soll trotzdem alles so schmecken „wie echt und wie immer“.
Raus aus dem Supermarkt geht dem Grübler durch den Kopf, was noch so alles free from / ohne und low / wenig in unserem Leben sein könnte. Selbstverständlich müsste er noch sehr viel länger darüber nachgrübeln, jedoch verhält es sich mit den Gefühlen in unserem Leben wie mit den Lebensmitteln im Supermarkt. Da gibt es auch jene, die low, und solche, die free from sind. Er geht in Gedanken mal die Gefühle durch. Und findet diese ohne Anspruch auf Vollständigkeit (na logo, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, lieber Kritiker!): Freude, Wut, Ekel, Angst/Furcht, Verachtung, Traurigkeit, Überraschung, Liebe, Hass, Vertrauen, Scham, Interesse, Leid, Widerwillen und Schuld.
Der Zielstrebige meint, dass „Widerwillen“ nicht zu den beiden Kategorien zählen würde, denn die Kreative und die Lebensfreude würden dieses Gefühle jedes Mal heraufbeschwören, wenn es heißt: Bude aufräumen!
Na gut, auch die Scham war bislang eine unserer Favoriten unter den Gefühlen. Wenn nämlich das Sonnenkind beispielsweise im Sommer vorschlug, die dünne, weiße Leinenhose anzuziehen, die so schön luftig ist und kühlt. Während der Kritiker uns die Schamesröte ins Gesicht trieb mit seiner Bemerkung, dass die Hose total durchsichtig wäre (wie man so einen Mist überhaupt kaufen konnte!) und der Ironische die Röte noch vertiefte mit seiner Bemerkung, dass wir dann auch gleich nackt gehen könnten. Sie würden auch gern noch andere Beispiele anführen. Der Verstand unterbindet das.
Und was ist bei Euch „free from“ oder „low“?