Die Lebensfreude macht Urlaub – Urlaub macht Lebensfreude

„Wir ma – chen Ur-laub, wir ma – chen Ur-laub“, singt die Lebensfreude, tanzt dabei wie ein kleines Mädchen, hüpft von einem Bein auf das andere und beginnt sich mit ausgestreckten Armen wie ein Brummkreisel zu drehen, dass ihre geflochtenen Zöpfe nur so fliegen. Sie ist außer Rand und Band vor Freude über den Urlaub, juchzt und hopst. Sie kann gar nicht aufhören zu singen! Diese große Freude verbinden wir im Allgemeinen sonst nur mit der Vorfreude auf Weihnachten. In Ihrer Vorstellung geht es gleich los. Was sie nicht alles tun möchte im Urlaub! Sie fände „beamen“ zum Urlaubsort sehr gut, denn der Perfektionist und der Kritiker haben das Packen und die lange Autofahrt vor den Urlaub gestellt. Wie diese beiden drauf sind, weiß ja inzwischen jeder, so dass die Lebensfreude beinah ihre Freude aufgeben will. Mit letzter Kraft friert sie sich ein, bis die beiden anderen Kumpane ihr Werk des Planens und Packens vollbracht haben.

Unsere Lebensfreude ist keine Partymaus wie vielleicht bei anderen Menschen. Unsere Lebensfreude ist eher ein Naturmensch. Sie liebt ausgedehnte Spaziergänge oder geselliges Beisammensein mit wenigen guten Freunden und dann auch nicht mit allen auf einmal, sondern wohl dosiert. Bei den Spaziergängen zum Beispiel ist sie auch nicht drauf versessen, viele Kilometer am Stück zu gehen, um anschließend mit der Länge der Wegstrecke zu prahlen. Im Gegenteil, sie liebt es, wie ein kleines Kind durch einen Wald zu laufen, dem Tagewerk des Spechtes zu lauschen, Pilze zu riechen, zu finden und vielleicht auch zu sammeln. Noch lieber folgt sie dem Bachlauf, der den Wald durchzieht, und trägt die buntesten oder vom Wasser am rundesten geschliffensten Steine zusammen.

Durch das Bachbett hopsen ohne nasse Füße zu bekommen, ist eine echte Kunst. Sind doch viele der größeren Steine sehr glitschig vom Moos. Sofern sie barfuß im Bach unterwegs ist, staunt sie über die Kälte des Wassers, das ihr fast die Füße gefrieren lässt. Gern lauscht sie dem stetigen Plätschern und Rauschen des Wassers. Auch ist es für sie ein kleines Abenteuer, den Bach mit Hilfe verschiedenartiger Brücken mehrfach zu queren. Dabei die Gerüche und Geräusche des ganzen Waldes in sich aufzusaugen und mit jedem Atemzug so viel Glück einzuatmen, dass ihr bald die Lunge platzt und es den Brustkorb sprengt. Die Sonne scheint durch die Bäume und wirft mit ihren Strahlen Schleier und unwirkliche Muster auf den Waldboden. Die Bäume recken sich gen Himmel, und wenn sie den Blick zu den Baumwipfeln raufschickt, um das leuchtend helle Blau des Himmels zu sehen, fällt sie bald rückwärts um. Sie breitet dann gern die Arme seitwärts aus, um das Gleichgewicht zu halten und die wärmenden Strahlen der Sonne auf dem Gesicht zu fühlen.

Wenn mal kein Wald in der Nähe ist, findet die Lebensfreude auch „Kömschnellwege“ toll. Das sind die Land- und Forstwirtschaftswege, die nur für die Landwirte zum Erreichen ihrer Felder gedacht sind, zuweilen aber von den Einheimischen genutzt werden, um nach einem feuchtfröhlichen Gelage mit viel „Köm“ (norddeutsch für einen bestimmten hellen Schnaps) den Polizeikontrollen auf den öffentlichen Straßen zu entgehen. Diese Wege bieten zwar meist keinen Schatten, können aber oft gut zu einem Rundgang von mehr oder weniger großen Runden verbunden werden. Sie liegen zwischen verschieden bestellten Feldern oder Wiesen, mit oder ohne Tierherden. Manchmal sind je nach Region die Felder von einheimischen Obstbäumen oder Hecken mit Haselnüssen, Schlehen, Holunder, Rosen, welche später ihre Blüten in Hagebutten verwandeln oder aber auch wilden Brombeersträuchern gesäumt. Die Feldränder duften herrlich nach Kräutern wie Waldmeister oder Kamille. Die Lebensfreude liebt diese Spaziergänge besonders, wo man quasi im Vorbeigehen die Obstportion des Tages in sich reinschieben kann. Hier eine Mirabelle, dort eine Pflaume oder zwei drei Brombeeren, einen Apfel in die Hosentasche…. Herrlich…. Da besteht Einigkeit zwischen ihr und dem Genießer. Obwohl der Faule es fast schon wieder als Überarbeitung empfindet, sich an einen Obstbaum zu stellen und zwei, drei Pflaumen für den Bauch zu pflücken. Der Kritiker versucht uns ein schlechtes Gewissen zu machen, indem er der Lebensfreude und dem Genießer schnell noch unterjubelt, dass sie Diebstahl bzw. Mundraub betreiben mit ihrer Obstklauerei. Demjenigen, dem die Felder gehören würden, gehörten auch die Bäume und somit ebenfalls das Obst daran. Sie sind geknickt und fühlen sich beschämt, weil sie etwas Verbotenes getan haben. Trotzdem sie nicht mit Eimern und Leiterwagen losgezogen sind, um eine Ernte einzufahren, die ihnen nicht zusteht, sondern einfach nur einzelne Früchte für die Seele gepflückt haben. Sagt man außerdem nicht auch, dass die verbotenen Früchte die leckersten sind? NEIN, sie lassen sich vom Kritiker nicht einschüchtern und die gute Laune verderben. Du bist ein anderes Mal wieder dran, Kritiker. Das ist unsere Zeit! Um auf die Kömschnellwege zurückzukommen, diese bieten leider wie gesagt kaum bis gar keinen Schatten und werden zur „Tor-Tour“, sofern man sie zu allzu sonnigen Tageszeiten begeht. Passt man allerdings eine gute Tageszeit ab, kann man die Wattewolken am Himmel zählen, während die Greifvögel über den Feldern nach Beute kreisen. Die Mäuse finden auf den bereits abgemähten Feldern nicht mehr schnell genug Unterschlupf. Grillen zirpen, Grashüpfer hüpfen, Kühe weiden, die Traktoren dreschen, mähen oder pflügen die Felder. Die Lebensfreude sieht ihnen gern zu, wie sie so gleichmäßig ein ums andre Mal Feld rauf Feld runter ihre Bahnen ziehen. Am Waldrand hinter dem Feld stakst ein Reh und hält ebenfalls Ausschau nach Futter oder Feind. Die Felder an sich bilden durch ihre unterschiedliche Bebauung und damit verschiedenen Farben einen regelrechten Flickenteppich. Mit ganz viel Glück kann es passieren, dass Ballonfahrer gesichtet werden oder Ultraleichtflieger mit schnarrendem Motor die Ruhe tatsächlich stören. Wenn das Glück dieser Natur die Lebensfreude durchfährt, kann sie nicht an sich halten. Wie ein Flugzeug seine Flügel breitet die Lebensfreude ihr Arme aus und „fliegt“ selbst über die Wege dahin. 20 Meter schafft sie, während ihre Tragflächen sich bedächtig seitwärts legen – mal nach links und mal nach rechts. Schlangenlinien laufend, verlängert sie die Flugzeit. Der Mund darf sich mit dem nachgeahmten Motorengeräusch beteiligen, indem die Lippen durch die ausströmende Luft flattern.

Am allerliebsten beginnt die Lebensfreude ihren Tag mit der ersten Portion Koffein, also der ersten Tasse Kaffee des Tages, auf der Terrasse. Während der hellbraune, süße Trunk seinen Duft verströmt und damit die Erinnerung an den Frühstücksraum der Urlaubspension meiner Kindheit an Frühstück mit frischen Brötchen und selbst gekochter Marmelade, Wurst und Käse wachrüttelt, genießt die Lebensfreude die Ruhe. Diese Ruhe, in der nur das Schnauben der Pferde im Stall zu hören ist, ein Vogel mit einem anderen zankt und der Wind mit den Blättern der Bäume raschelt. Sie nimmt die am Himmel ziehenden Wolken wahr und versucht aus den Wolkengebilden Tiere oder andere Sachen zu erkennen. Die Sonne schiebt sich gefühlt Millimeter um Millimeter weiter und erreicht unsere Terrasse nur langsam, weil sie erst hinter den Bäumen hervorlugen muss. Sobald sie jedoch diese Position erklommen hat, ist ihre Wärme kaum noch auszuhalten. Nur wenige Minuten genügen, um eine Vorstellung von Hähnchen am Grillspieß zu bekommen. Die Lebensfreude tankt noch ein wenig Wärme, Energie und nützt diesen Effekt für ein biss‘l mehr Hautfarbe für unseren Körper, bevor es für sie nicht mehr aushaltbar ist. Sie zieht sich nach drinnen zurück, bis die Sonne ihren Lauf soweit fortgesetzt hat, dass das Sonnensegel über der Terrasse einen akzeptablen Schatten spendet. Dann kann auch sie wiederum den Platz auf der Terrasse einnehmen.

Richtig toll findet sie auch die lauen Sommerabende, an denen wir noch bis nach Mitternacht die Terrasse nutzen können. Bei einem Glas Wein und Käse (fast wie die französische Lebensart, denn Frankreich ist tatsächlich von unserer Urlaubsterrasse nur 250 Meter über den Berg entfernt) sitzt es sich noch sehr angenehm dort. Sie kann den Sternenhimmel betrachten und sogar einige Sternschnuppen zählen. Sie wünscht sich bei jeder gesichteten Sternschnuppe etwas, so wie es der Aberglaube postuliert. Ob die Wünsche wohl in Erfüllung gehen werden? Die Beleuchtung der Umgebung ist so gering, dass das tatsächlich möglich ist. Auch jetzt lauscht sie gern dem Zirpen der Grillen, saugt den Duft der kühler werdenden Nachtluft ein genauso wie den Duft des Weines, bevor er dann langsam die Kehle hinunterrinnt. Der Ruf des Käuzchens zeigt die beginnende Nacht an und in den umliegenden Gebüschen erwacht das Nachtleben der Katzen, Füchse und sonstigem Getier. Das Flackern der aufgestellten Citruskerze gegen die lästigen Mücken kündet von dem anreisenden Nachtwind, der nun auch endlich zu seinem Recht kommen möchte. Bäume des angrenzenden Feldes werfen schwarze Schatten, die wie Scherenschnitte aussehen vor dem Licht des Vollmondes. Die Lebensfreude hingegen verschwendet nicht einen einzigen Gedanken an Fernsehen, Handy oder PC. Sogar ein Buch wäre ihr gerade zu viel, zu unpassend. Sie genießt diese Augenblicke und ist sich auch mit dem Genießer darüber einig, dass es fast nichts Schöneres gibt als solche Momente. Und das, wo doch dem Genießer bekanntlich die weihnachtlichen Genüsse über alles gehen. Beide, Genießer und Lebensfreude, möchten gleichsam nicht mehr rein ins Bett, obwohl die Augen bereits bedenklich zu klimpern begonnen haben. Natürlich ist auch der Wein nicht ganz unschuldig daran. Wenn sie jetzt ins Bett gehen, denken beide, ist die schöne Zeit schon wieder um. Das macht es ihnen unendlich schwer, sich von der Terrasse und der Nacht zu trennen. Einzig der nächste Morgen ist ein Trost für die beiden, denn der beginnt ja erneut mit dem herrlichen Ritual der ersten Tasse Kaffee des Tages.

Wie besonders die schönen Dinge es an sich haben, außerordentlich schnell zu enden, so verhält sich das auch mit dem Urlaub der Lebensfreude. So schwer fällt es ihr, im Hier und Jetzt zu bleiben bis zum tatsächlichen Ende. Stattdessen überlegt sie, was noch zu tun wäre, bevor es endgültig endet. Man könnte fast meinen, sie denkt, das Leben endet, doch es ist nur der Urlaub. Dies noch tun, jenes kaufen, was man zu Hause aufgrund der Regionalität nicht so einfach bekommt. Alles noch schneller, noch intensiver genießen, sodass es längst in Stress ausartet, so viel wie möglich mitzunehmen an Ruhe und Sinneseindrücken. Statt „to go“ also nun auf Vorrat! Damit sie sich nach der Rückkehr mit allen Sinnen erinnern kann und den Stress der Hauptstadt so lange wie möglich von sich fernhalten.

NEIN!

Und wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe! – hat ein deutscher Schriftsteller gereimt….

Morgen gibt es noch einen Urlaubstag, und selbst wenn da nicht die Sonne scheint, um den Tag mit der Tasse Kaffee auf der Terrasse zu begrüßen, würde die Lebensfreude sogar im Regen tanzen. Einer morgendlichen Dusche gleich…. Keine Angst, die anderen Kumpane werden auf sie Acht geben, damit sich die Lebensfreude im herbstlichen Regenschauer nicht den Tod holt. Denn was wären sie ohne die Lebensfreude – die Trauer schlägt uns die Hände vors Gesicht.

Keine Sorge, wir haben noch ein paar Tage vor uns. Trotzdem hat die Lebensfreude der Trauer zugesagt, dass sie bei der Abreise ganz viele Tränen in der Urlaubsregion lassen darf. Denn wir prüfen erst ganz genau, wohin wir unser Herz verschenken. Denkt an den Abschied…. Wenn er euch nicht mehr in Erinnerung ist, dann dürft ihr ihn gern noch einmal lesen.