Wir hatten gerade Geburtstag und da wir keine Partymäuse sind, feierten wir in einem Restaurant mit einem guten Essen im Kreise der Familie. Vorab baten wir meine Gäste, auf Blumengeschenke zu verzichten. Die Erfahrung all der Jahre mit den Geburtstagssträußen ergab ausschließlich Chaos. Nicht, dass wir sie nicht schön gefunden hätten, aber unsere Katzen taten das auch! So knabberten sie besonders gern an den Gräsern, welche so häufig die Sträuße zierten und rissen dabei in aller Regelmäßigkeit die vollgefüllte Blumenvase um. Folge war jedes Mal ein nasser Teppich oder später ein nasses Laminat. Der Teppich erhielt dabei wunderschöne Flecken und Ränder, die nicht mehr zu entfernen waren.
Auch wollte sich Schimmel bei uns einnisten. Hatte dieser doch perfekte Lebensbedingungen zu erwarten. Immer mal wieder feucht dann warm. So ein tolles Klima findet er nicht überall (außer in neu klimasanierten Wohnblöcken, aber das ist ein anderes Thema). Wir hatten keine Lust auf solch einen lästigen Untermieter und wechselten deshalb auf Laminat. Da braucht man nur noch wischen. „Jedoch hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht“, sagte der Realist. Unter dem Esstisch bildeten sich alsbald Buckel, weil das Blumenwasser das Laminat aufquellen ließ.
Auch der Esstisch selbst hatte gelitten, denn das Wasser stand oftmals viele Stunden darauf – während wir berufstätig außer Haus waren und nicht gleich aufwischen konnten. Und, weil es ein Ausziehtisch ist, sammelte sich das Wasser auch in den Ritzen der Tischplatte und den darunterliegenden Schubschienen. Diese ließen sich nicht lange bitten und setzten Rost an. Das erschwerte natürlich wiederum jedes Ausziehen der Tischplatte und bescherte uns schöne Geräusche. „Na, ob wir die so schön fanden, ist aber sehr fraglich“, meldete sich gleich mal der Kritiker und ich fragte mich, wer den denn schon wieder aus der Dose gelassen hat? Die Lebensfreude hingegen sah den Katzen gern zu, wie diese geschmeidig mit nur einem Satz auf den Esstisch gesprungen sind und sich an dem Blumenschmaus zu schaffen gemacht haben. Auch die Neugierde saß aufgeregt daneben. Sie beäugte das Szenario gespannt ob der Aussicht auf die kippende Vase. Wann würde sich nun endlich der geräuschvolle Sturz der Vase ereignen? Die Spannung stieg mit jeder Minute, was die Unruhe der Neugierde fast ins Unermessliche steigerte, weshalb die Sensation für sie kaum noch abzuwarten war. Der Fürsorgliche hingegen sah diesem Schmaus weniger erfreut entgegen. Sind doch viele Pflanzen und Blumen für Katzen giftig. Und würde solches im Strauß enthalten sein, würden wir das erkennen, und auch rechtzeitig erkennen, um Abhilfe schaffen zu können? Der Nörgler ist auch schon zur Stelle. Erstens ningelt er, dass das Gewische nervt und da ist er sich mit dem Faulen sofort einig. Zweitens, dass wir dann wieder zum Tierarzt fahren müssten, was auch dem Faulen stinkt, weil wieder Zeit für etwas drauf geht, was hätte vermieden werden können, aber auch, weil Kosten entstehen. Das Geld hätte man anderweitig besser einsetzen können! Und zack, ist der Genießer zur Stelle. Denn wir haben an diesem Geburtstag anstatt der besagten Blumen Fudge erhalten.
Wer uns schon etwas kennt, weiß, dass das weiches Karamell ist. Und wir würden es eher mit „Futsch“ übersetzten, denn es hat mit Chips die Gemeinsamkeit, in atemberaubender Geschwindigkeit zu entschwinden. Tüte offen, Inhalt weg. Sobald man die Chips inhaliert hat, kriegt man die Quittung irgendwann auf der Waage. Na ja, jedenfalls nach der x-ten Tüte. Bei Futsch-Fudge wird das eher mit einem Zuckerschock und späterem Diabetesbefund quittiert. Wir sollen ja lieber mit allen Sinnen genießen, schreibt uns der Genießer vor. Dadurch soll die Menge des zu genießenden Etwas reduziert werden. Denn wenn alle Sinne bedient werden, braucht man weniger, sagt die Forschung. Na, die hätte wohl erst mal bei uns nachfragen sollen. Der Genießer will möglichst lange etwas von einem Stück haben, was dem Fürsorglichen entgegenkommt, in der Hoffnung dem plötzlichen, exorbitanten Anstieg des Zuckerspiegels entgegenzuwirken. Deshalb versuchen wir zuerst gaaanz langsam nur ein Stück aus der Tüte zu nehmen. Wir riechen daran und augenblicklich steigt uns dieser wundervolle Geruch in einer Mischung aus Butter und Zucker in die Nase. Geschulte Nasen werden eventuell auch noch den Duft von Kondensmilch erschnuppern. „Und wer nicht bereits hier anfängt zu sabbern, kann gleich damit beginnen“, nickt der Anerkennungsjunkie voller Bewunderung. Denn wer hätte gedacht, dass der Fudge-Brocken wirklich erst an der Nase verbeigeschoben wird, anstatt gleich im Mund zu landen. Doch der Weg von der Nase in den Mund ist nur seeeehhhr kurz und so trägt es sich zu, dass der begehrte Brocken dann doch schneller als erwartet und gewünscht in dem dunklen Loch des Genusses verschwindet. „Nein, nein nicht ganz“, kann gerade noch der Kontrolletti erwirken. Denn sonst hätten wir nicht viel gewonnen. Auf diese Art und Weise werden wir von ihm genötigt, nur ganz kleine Stücke mit den Schneidezähnen abzuschaben, quasi nur daran zu lecken. „Ich bevorzuge ein ganz gerade Abbisskante“, nervt der Perfektionist fast schon in Befehlston. Worauf der Kritiker nur den Kopf schüttelt, denn aufgrund der bröckelig-weichen Struktur ist das kaum möglich. Wie bei den Kreidefelsen in Rügen, bricht immer mal wieder eine Kante völlig unkontrolliert ab. Sehr zur Freude des Genießers und der Lebensfreude, die beide sofort abklatschen. Der Harmoniesuchende möchte mal wieder vermitteln, weil ihm der drohende Kantenstreit zuwider läuft. Doch er scheitert an allen Kanten – äh, Fronten…Dem Antreiber geht das alles nicht schnell genug. Wenn es nach ihm ginge, würden wir den Wettstreit im Lecken gewinnen, besser noch das ganze Stück auf einmal verdrücken, aber ihn fragt ja keiner! Ob nun gerochen, geleckt, geknabbert oder gebissen wird, irgendwann hat sich das Teil aufgelöst und der süße Geschmack, der ein wohliges Gefühl im Körper hinterlässt, schreit nach mehr.
„Weiter, weiter“, schreit wiederholt der Antreiber, der kaum noch zu halten ist. Schwups, sausen die Finger zur Tüte, um einen neuen Brocken heraus zu angeln. Wiederum das gleiche Prozedere. Riechen, lecken, knabbern, schmecken, sabbern, schlucken. Oh nein, schon wieder ein Brocken weg! Der Blutzucker verklebt uns die Synapsen und wir greifen nochmals zur Tüte… Naja, so geht es weiter bis? – Fudge – futsch! Der Zielstrebige feiert unsere Leistung, bis zum letzten Brocken durchgehalten zu haben. “Wer ist jetzt für den Ausgleich mit einer Tüte Chips zur Stelle?“ fragt der Ironische den Rest der Gang. Die Trauer freut sich maßlos, dass auch sie einen Beitrag leisten kann. Denn wir sind ehrlich traurig, dass die Tüte leer ist, in denen sich sowieso immer so unglaublich wenig Inhalt befindet!
Der Sarkastische zeigt mit dem Kopf zur Geschenktüte, in der sich noch zwei Packungen Futsch-Fudge befinden und der Realist weist alle darauf hin, dass diese in ihrer Lebensdauer sehr beschränkt sein werden. Der Aufdruck eines Verfallsdatums ist eigentlich völlig unnötig – in unserem Fall offenkundig. Zum Glück haben wir nur einmal im Jahr Geburtstag, denn gepaart mit den anderen Festen und ihren Leckereien würden wir bald durch die Welt kugeln. Auch wären wir ein echter Suchtkandidat. So wie andere Menschen dem Alkohol oder Drogen verfallen, könnte Fudge unsere Droge sein. So meiden wir brav Geschäfte, in denen unsere Droge erhältlich ist. Der Ängstliche und der Fürsorgliche sorgen dafür, dass wir diese Geschäfte immer meterweit umschiffen. Sollten wir uns doch einmal in ein solches verirren, steht sofort der Harte bereit, dem vom Genießer bezirzten Verkäufer die Fresse polieren zu wollen, sofern der uns tatsächlich das „Zeug“ verkaufen will. Um wegen des eventuellen, beherzten Einsatzes unseres Harten ja nicht etwa in die Mühlen der Rechtsprechung zu geraten, tänzelt das Sonnenkind umher. Demgemäß will es auf seine Weise von den gefahrenvollen Verkaufshöhlen ablenken und somit deeskalierend auf alle anderen Terrorzwerge unserer unfreiwilligen Wohngemeinschaft einwirken.
Wie ihr mal wieder feststellen könnt, ist selbst der Genuss oder bereits die Begierde nach Fudge so einfach bei uns zu behandeln. Und wenn das schon bei solchen Kleinigkeiten wie Fudge der Fall ist, könnt ihr euch ja vorstellen, wie es erst bei wirklich wichtigen Dingen in uns abgeht. Aber das ist vielleicht auch gut so, denn sonst gäbe es ja nichts von uns zu lesen…
