Da fragt mich letztens meine Lektorin Elisabeth, ob nicht mein Kontrolletti auch langsam Depressionen bekommen würde. „Hä?“, frage ich. „Naja“, sagt sie, „in Corona hat er doch bestimmt nicht mehr so viel zu kontrollieren. Was macht er denn dann eigentlich noch?“ Diese Frage ist nicht ganz unberechtigt. Ich grinse in mich hinein. „NA Kontrolletti? Was machen deine Depris denn so?“ Mein Kerl wie ein Baum – ihr habt bestimmt nicht seine imposante Erscheinung vergessen. Und der mit Depressionen? Nun gut, die machen ja bekanntlich vor niemandem Halt und beschränken sich auch auf keine Altersgruppe. Erinnere mich an den Klinikaufenthalt und besonders gern an den „Klinikkindergarten“. Ja gut, die waren jetzt alle über zwanzig, dennoch gibt es direkt Kinder mit Depressionen und dank Corona mittlerweile auch richtig viele. Möchte mir lieber keine Dunkelziffer ausmalen.
Meinem Kerl wie ein Baum würde ich noch keine Altersdepressionen zugestehen, freilich kann er trotzdem „normale“ Depressionen bekommen. Klar, er hat nicht mehr ganz so viel zu tun, sind wir doch vergleichsweise wenig draußen. Momentan muss er sich nur mit seinen Insassen-Kollegen und unserem Haushalt beschäftigen. Das Pensum ist daher derart gesunken, dass er akut seinen Burnout nehmen könnte, den er sich mehr als redlich angespart hat. Ich frage mal drinnen nach, ob ihn jemand in jüngerer Zeit vermisst hat. Ups, das war wahrscheinlich die falsche Frage, denn vermissen würde ihn niemand so recht. Pingelt er doch an allen rum. Da ist fast jeder der anderen höchst zufrieden, wenn er den Kontrolletti nicht sehen oder hören muss.
Derzeit verlegen wir unsere Kontrollen auf die Sauberkeit der Wohnung und den ggf. auftretenden Renovierungsbedarf. So grüßt also der tägliche Kontrolletti mit dem geregelten Tagesablauf, den wir hier nicht noch einmal erläutern möchten. Besonders achtet er momentan auf den Output unserer 18 Jahre alten Katze. Sie wird dement und unbeweglich. Die Folge daraus ist, dass sie zwar ins Katzenklo stiefelt und mit allen Vieren drin steht doch leider der Hintern (Mors für die Nordlichter) noch raus ragt und nicht mit ins Klo genommen wird. Weshalb der warme, gelbe Strahl in herrlichem Bogen (denn Druck ist noch vorhanden!) außerhalb der Katzentoilette auftrifft und einen kleinen, müffelnden See hinterlässt. Der Kontrolletti kann das selbstverständlich nicht dulden, weswegen er angeordnet hat, den unmittelbaren Umkreis des Katzenklos mit Inkontinenzunterlagen auszulegen. Die Lebensfreude schaut dann immer ganz bedröppelt, weil sie eine kleine Vorstellung davon bekommt, wie es uns demnächst im Alter ergehen könnte. Bevor hier Diskussionen zum Alter und Lebensende (ggf. auch fremdgesteuert) von Katzen entbrennen, bittet der Harmoniesuchende um Kenntnisnahme, dass diese Katze ansonsten tippitoppi fit ist – so wie man eben mit 18 noch fit sein kann. Sie hätte alle anderen Tiere unseres Haushaltes noch fest im Griff und frisst uns die Haare vom Kopf, also alles tutti, meint er. Na dann…
Wir empfehlen dem Kontrolletti, mal an unseren Entspannungsritualen des Tages teilzunehmen, um die Depression zu mildern. Er tut sich sehr schwer damit. Läuft immer noch auf Hochtouren, obwohl er ja mittlerweile nur einen Bruchteil von dem kontrollieren muss, was ansonsten sein Pensum wäre. Wir schlagen ihm vor, beim mittäglichen Bodyscan mitzumachen. Unsere Hymne zur Stärkung des Selbstwertes und zur Erinnerung an die eigenen Rechte enthalten wir ihm vor, denn Selbstbewusstsein hat ER ausreichend. Obwohl, mischt sich der Fürsorgliche ein, als solch Häufchen Elend hätte er den Kontrolletti noch NIE gesehen! Ob man ihm nicht doch die Hymne zugestehen möchte, damit er sich wieder zu seiner Baumesgröße aufrichten kann. Der Grübler hat mit seiner Arbeit begonnen und begrübelt nun die Situation des Kontrollettis. Wie immer benötigt er dazu keine Hilfe der anderen Insassen. Er tut das grundsätzlich allein. Die Terrorfraktion der anderen Insassen hingegen kichert in Anbetracht von Kontrollettis Zustand. Die Schadenfreude ist riesig und dennoch kichert die Terrorfraktion nur verhalten. Gegenwärtig ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, so zu enden wie der Kontrolletti. Und wenn es DEN schon erwischt! Nein, sie wollen lieber nicht weiter darüber nachdenken, wie es ihnen selbst ergehen würde. Der Grübler grübelt immer noch. Wir verdonnern den Kontrolletti zum Bodyscan und erleben eine Überraschung. Dabei soll sich der Körper entspannen und die Spannung an den Körperstellen identifizieren, an denen sie trotzdem anhält. Die Stellen sind dann ein Indiz dafür, dass der Kopf wieder mal nicht los lassen kann und konnte und daher die Spannung im Körper festgehalten wird. „Wenn die Seele die Sprache verliert… fängt der Körper zu reden an“, sagt Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer und bringt den Bodyscan auf den Punkt. Die eigentliche Überraschung ist, dass der Kontrolletti nun aber durch den Körper rauscht und checkt, ob wirklich alles entspannt ist, so wie es die freundliche, ruhige Stimme der Sprecherin anordnet. Dann hängt er zuweilen da und referiert: „ Das Gesicht ist jetzt völlig entspannt, sagt die Stimme. Warum runzelt ihr Muskeln immer noch die Stirn und beißt die Zähne zusammen?“, fragt er in den Körper. Nur noch schnell das Loslassen überwachen und zum nächsten Spannungspunkt eilen, der bei der Ansage nicht gleich entkrampft wurde. Er kann eben nicht aus seiner oder unserer Haut?
Wir hätten ja hoffen können, dass er mit Depressionen erträglicher wäre für uns und respektive unser aller Leben. Dass er weichgespült und pflegeleicht geworden wäre. Es hätte ausgereicht, denn gebraucht wird er nunmal tatsächlich. Der Faule findet den aktuellen Zustand ganz passabel. Er kann momentan öfter zum Zuge kommen, wenn der Kontrolletti so in den Seilen hängt. Dann beschert er uns häufiger einen Fernsehabend!
Der Grübler kommt zu dem Schluss, dass wir nicht völlig ohne den Kontrolletti leben können, allerdings reicht für uns seine eingeschränkte Betriebsfähigkeit aus. Wir werden also weiterhin hart daran arbeiten müssen, seine Kompetenz zu beschränken.